BGH stärkt Mieterschutz: Kündigungssperrfrist beginnt erst mit Eigentumserwerb des Vermieters

Symbolbild
Hintergrund: Sperrfrist schützt Mieter bis zu zehn Jahre
Nach § 577a BGB darf ein Erwerber von Wohnungseigentum eine Eigenbedarfskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) oder Verwertungskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB) erst nach Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung aussprechen. In Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt können die Länder diese Sperrfrist per Verordnung auf bis zu zehn Jahre verlängern (§ 577a Abs. 3 BGB). In Städten wie München und Berlin gilt die volle zehnjährige Schutzfrist.
Der Fall: Kündigung nach Wohnungskauf in München
Die Beklagten wohnten seit 2004 in einer Münchner Mietwohnung. Ende 2011 erwarb eine GmbH & Co. KG das gesamte Haus und wandelte es 2012 in Eigentumswohnungen um. 2016 verkaufte die Gesellschaft die Wohnung an die Kläger, die 2017 im Grundbuch eingetragen wurden.
Im September 2022 kündigten die Kläger das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Sie argumentierten, die Sperrfrist sei längst abgelaufen, da sie bereits mit der Umwandlung 2012 begonnen habe.
Die Mieter widersprachen: Nach der Bayerischen Mieterschutzverordnung gilt in München eine zehnjährige Sperrfrist – diese habe erst mit dem Erwerb durch die Kläger im Jahr 2017 begonnen und sei 2022 noch nicht abgelaufen.
BGH: Kündigungssperrfrist begann erst 2017
Der BGH entschied zugunsten der Mieter. Die Sperrfrist habe nicht bereits 2012 mit dem Erwerb durch die GmbH & Co. KG begonnen, sondern erst mit dem Eigentumserwerb der Kläger im März 2017. Folglich läuft die zehnjährige Sperrfrist noch bis 2027, die Eigenbedarfskündigung war unwirksam.
Kein „Münchener Modell“ bei Personenhandelsgesellschaften
Besonderes Augenmerk legte das Gericht auf die Abgrenzung zu § 577a Abs. 1a und 2a BGB, die der Gesetzgeber eingeführt hatte, um das sogenannte „Münchener Modell“ zu verhindern. Dabei kauften Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) oder Miteigentümergemeinschaften Häuser, kündigten den Mietern wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters und wandelten erst danach in Eigentum um – eine Umgehung des Kündigungsschutzes.
Um dieses Risiko auszuschließen, sieht § 577a Abs. 1a BGB vor, dass die Sperrfrist in diesen Fällen bereits mit dem Erwerb durch die GbR oder die Erwerbergemeinschaft zu laufen beginnt.
Teleologische Reduktion: GmbH & Co. KG nicht erfasst
Die Kläger argumentierten, dass auch eine GmbH & Co. KG als „Personengesellschaft“ im Sinne von § 577a Abs. 1a BGB gelten müsse. Dem erteilte der BGH eine Absage. Zwar sei der Wortlaut der Norm weit gefasst, jedoch sei sie teleologisch zu reduzieren: Personenhandelsgesellschaften wie OHG, KG oder GmbH & Co. KG seien nicht erfasst, da von ihnen kein vergleichbares Verdrängungsrisiko ausgehe. Nur bei einer GbR oder Miteigentümergemeinschaft bestehe die Möglichkeit, dass Gesellschafter unmittelbar Eigenbedarf anmelden können.
Damit stellte sich der Senat ausdrücklich gegen die Mehrheitsmeinung im Schrifttum, die auch Personenhandelsgesellschaften einbeziehen wollte.
Konsequenzen für Mieter, Käufer und Investoren
- Mieter profitieren von einem klaren Signal: Die Sperrfrist läuft erst ab dem Zeitpunkt, an dem ein Erwerber tatsächlich als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wird – nicht schon mit dem Zwischenerwerb durch eine GmbH & Co. KG.
- Käufer von Eigentumswohnungen müssen die Sperrfrist einkalkulieren. In München können sie frühestens nach zehn Jahren wirksam Eigenbedarf geltend machen.
- Investoren und Vermieter erfahren, dass Personenhandelsgesellschaften keine Möglichkeit haben, die Sperrfrist vorzuverlagern.
Fazit
Der BGH stärkt mit diesem Urteil erneut den Mieterschutz in angespannten Wohnungsmärkten. Die Kündigungssperrfrist nach § 577a BGB beginnt erst mit dem Eigentumserwerb durch den kündigenden Vermieter, und kann in Städten wie München bis zu zehn Jahre betragen. Die Entscheidung verdeutlicht, dass gesetzliche Schutzvorschriften restriktiv auszulegen sind und Umgehungsstrategien keine Chance haben.
Was heißt „teleologische Reduktion“?
Der BGH hat das Gesetz hier nicht rein nach dem Wortlaut angewendet, sondern nach seinem eigentlichen Zweck ausgelegt. Juristen nennen das eine „teleologische Reduktion“. Gemeint ist: Wenn der Text einer Vorschrift zu weit gefasst ist, wird er auf das eingeschränkt, was der Gesetzgeber wirklich gemeint hat.
Im vorliegenden Fall steht im Gesetz zwar allgemein „Personengesellschaft“. Nach Auffassung des BGH soll die Vorschrift aber nur für Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) und Miteigentümergemeinschaften gelten, weil dort tatsächlich das Risiko besteht, dass einzelne Gesellschafter Eigenbedarf anmelden können. Bei einer GmbH & Co. KG oder anderen Personenhandelsgesellschaften gibt es dieses Risiko nicht – deshalb werden sie von der Sperrfristregelung nicht erfasst.
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