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Bundesfinanzhof zweifelt an neuer Grundsteuer: Verfassungsrechtliche Bedenken und mögliche Konsequenzen

Die Reform der Grundsteuer in Deutschland steht erneut auf dem Prüfstand. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in kürzlich veröffentlichten Entscheidungen (Beschlüsse vom 27.05.2024, Az.: II B 78/23 (AdV) und II B 79/23 (AdV)) ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des neuen Berechnungsmodells geäußert. Diese Entscheidungen stärken die Position von Haus & Grund Deutschland und dem Bund der Steuerzahler, die gemeinsam mehrere Musterklagen gegen die reformierte Grundsteuer führen.

Taschenrechner auf einem Stapel von Münzen und Geldscheinen.

Der BFH betont in seinen Entscheidungen, dass Grundeigentümer die Möglichkeit haben müssen, nachzuweisen, dass ihre Immobilie erheblich weniger wert ist, als vom Finanzamt angenommen. Zwar darf der Gesetzgeber bei einem Massenverfahren wie der Grundstücksbewertung zu Pauschalierungen greifen, jedoch müsse bei Abweichungen von mehr als 40 Prozent vom tatsächlichen Wert eine Anpassungsmöglichkeit bestehen.

In einem der vom BFH behandelten Fälle ging es um ein 70 Quadratmeter großes Einfamilienhaus in Rheinland-Pfalz, Baujahr 1880, in schlechtem Erhaltungszustand und mit Einfachverglasung. Das neue Bewertungsverfahren, basierend auf pauschalen Bodenrichtwerten und Mieterträgen, führte zu einem Grundsteuerwert, der nach Ansicht der Eigentümer deutlich von der Realität abwich. In einem zweiten Fall handelte es sich um ein Grundstück, das aufgrund einer Bebauung in zweiter Reihe nur eingeschränkt nutzbar war.

Der BFH ließ den Vollzug der Bewertungsbescheide aussetzen, die die Eigentümer vom Finanzamt erhalten hatten, und bestätigte damit die Beschlüsse des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz. Das oberste Finanzgericht hegt Bedenken gegen die pauschalen Bewertungssätze des Bundesmodells zur Berechnung der neuen Grundsteuer, das in 11 von 16 Bundesländern angewendet wird.

Die Entscheidungen des BFH sind ein wichtiger Schritt in den insgesamt sechs Musterverfahren, die von Haus & Grund Deutschland und dem Bund der Steuerzahler geführt werden. Dr. Kai Warnecke, Präsident von Haus & Grund Deutschland, und Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahlerbundes, betonen jedoch, dass das letzte Wort in dieser Sache beim Bundesverfassungsgericht liegen wird.

Die Verbände kritisieren insbesondere, dass sowohl die Bodenpreise als auch die Mietpreise, die als Grundlage der Besteuerung dienen sollen, in vielen Fällen unrealistisch und nicht nachvollziehbar seien. Sie streben eine zeitnahe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an und halten die Reform für grundrechtswidrig.

Für Immobilienbesitzer bedeutet die aktuelle Situation, dass sie trotz eingelegtem Einspruch ab 2025 die neue Grundsteuer zahlen müssen, sofern sie einen Bewertungsbescheid erhalten haben. Nur die Kläger in den vom BFH entschiedenen Fällen sind vorerst von der Zahlung befreit.

Die Entscheidung des BFH unterstreicht die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Ausgestaltung der Grundsteuer. Besonders relevant ist hierbei § 198 des Bewertungsgesetzes (BewG), der die Ermittlung des Grundsteuerwerts regelt. Eine mögliche Anpassung dieses Paragraphen könnte erforderlich sein, um den verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung zu tragen.

Der BFH will Eigentümern die Möglichkeit einräumen, durch Gutachten einen geringeren Wert ihrer Immobilie nachzuweisen als nach dem Modell angesetzt. Dies wäre eine bedeutende Änderung, da das aktuelle Gesetz eine solche Option nicht vorsieht. Ob der Bundesfinanzhof die Grundsteuernovelle grundsätzlich für verfassungskonform hält, bleibt jedoch noch offen, da die Entscheidungen zunächst im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergingen und das Hauptsacheverfahren noch aussteht.

Die Verbände Haus & Grund Deutschland und der Bund der Steuerzahler gehen in ihrer Kritik noch weiter. Sie fordern realitätsnahe Werte und kritisieren Ungleichgewichte durch die Berechnung. Ihre Absicht, die Angelegenheit vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu bringen, zeigt die Tragweite der Problematik.

Die weitere Entwicklung in diesem Fall wird von Immobilienbesitzern, Juristen und Steuerfachleuten mit großem Interesse verfolgt, da sie weitreichende Auswirkungen auf die zukünftige Besteuerung von Grundeigentum in Deutschland haben könnte. Es bleibt abzuwarten, ob und wie der Gesetzgeber auf die Bedenken des BFH reagieren wird und ob es zu einer erneuten Anpassung des Grundsteuermodells kommen wird.

Für Eigentümer ist es ratsam, ihre Grundsteuerbescheide genau zu prüfen und bei deutlichen Abweichungen vom tatsächlichen Wert Einspruch einzulegen. Auch wenn dies derzeit nicht automatisch zu einer Neubewertung führt, könnte es im Falle einer Gesetzesänderung oder eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts von Vorteil sein.

Insgesamt zeigt die Entwicklung, dass die Reform der Grundsteuer weiterhin ein komplexes und umstrittenes Thema bleibt, das möglicherweise noch weitere rechtliche und politische Diskussionen nach sich ziehen wird.

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