OLG Brandenburg: Mangelhafte Pflastersteine begründen Anspruch auf Ersatz und Vorschuss

Hintergrund: Funktionalität trotz formaler „Befahrbarkeit“ fraglich
Der Kläger hatte im Jahr 2020 vom Beklagten Pflastersteine des Typs „Castello-Selection 8 cm saharabraun“ zur Befestigung seiner Grundstückszufahrt und Stellfläche erworben. Kurz nach der Verlegung zeigten sich massive, dunkle Reifenabriebspuren. Diese machten sich insbesondere durch die stark strukturierte Oberfläche der Steine bemerkbar, laut Kläger ein klarer Mangel, da die Steine vom Hersteller als „PKW-befahrbar“ beworben wurden.
Das Landgericht Potsdam (Az. 6 O 220/22) wies die Klage zunächst ab. Die Begründung: Die Steine seien für die übliche Verwendung geeignet und zeigten keine Güteabweichungen. Gebrauchsspuren seien hinzunehmen. Der Kläger ging in Berufung, mit Erfolg.
Zentrale Rechtsfragen: Kombination von Vertragstypen und Maßstab für Mängel
Das OLG Brandenburg stellte klar, dass bei gemischten Verträgen – hier: Lieferung von Pflastersteinen, Entsorgung von Bauschutt und Vermietung von Maschinen – für jede Leistungsart die spezifischen Gewährleistungsregeln gelten. Für den Kauf der Pflastersteine bedeutet das: Anwendung der §§ 433, 434, 439 BGB a. F., ergänzt durch § 475 Abs. 6 BGB a. F. als Verbraucherschutzregel.
Entscheidend war dabei die Differenzierung zwischen der vereinbarten und der tatsächlich geeigneten Verwendung: Zwar entsprach die Lieferung formal der bestellten Produktgattung. Die Steine waren aber für den vertraglich vorausgesetzten Einsatz, befahrbare Zufahrt, nicht geeignet, da sie durch ihre Oberflächenstruktur erheblichen Reifenabrieb verursachten und so funktional wie optisch untauglich waren.
Rechtliche Einordnung des Mangels: Nicht nur Optik, sondern Gebrauchstauglichkeit entscheidend
Nach Auffassung des Gerichts genügt es nicht, dass die Steine die technische Anforderung an die Traglast erfüllen. Auch die faktische Nutzung, häufiges Befahren mit PKW, müsse dauerhaft möglich sein, ohne unzumutbare optische oder materielle Folgewirkungen. Das Urteil unterstreicht damit die Bedeutung der nach dem Vertrag vorausgesetzten Verwendung gemäß § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BGB a. F..
Der Sachverständige hatte den Reifenabrieb als ungewöhnlich stark und technisch erklärbar beschrieben, ein Indiz für die fehlende Gebrauchstauglichkeit. Der Senat betonte: Die Steine „funktionieren wie ein Reibebrett“, insbesondere bei höheren Temperaturen.
Anspruch auf Ersatzlieferung und Vorschuss bestätigt
Das OLG sprach dem Kläger deshalb Nachlieferung gemäß § 439 Abs. 1 BGB a. F. zu. Er erhält 172,4 m² des Typs „Via Roma Cassero 8 cm Muschelkalkmix“. Diese weisen eine glattere Oberfläche auf und werden vom selben Hersteller produziert, also ein austauschbares Produkt derselben Kategorie.
Zudem wurde dem Kläger ein Vorschussanspruch über 14.215 Euro für den Aus- und Neueinbau der Pflastersteine zugesprochen. Grundlage ist § 475 Abs. 6 BGB a. F., der dem Verbraucher ausdrücklich das Recht einräumt, vorab die notwendigen Kosten zu verlangen. Auch wenn der Verkäufer bei absoluter Unverhältnismäßigkeit grundsätzlich seine Kostenbeteiligung einschränken kann (§ 475 Abs. 4 BGB a. F.), gilt dies nicht bei funktionalen Mängeln, sondern lediglich bei rein ästhetischen.
Relevanz für Baupraxis und Handel
Das Urteil zeigt: Wer Baumaterialien liefert, muss deren tatsächliche Eignung für die versprochene Nutzung sicherstellen. Die bloße Einhaltung technischer Mindestvorgaben reicht nicht, wenn das Produkt im alltäglichen Gebrauch unzumutbare Mängel zeigt. Besonders für Produkte mit werblichen Versprechen („Pkw-befahrbar“, „pflegeleicht“, „originale Patina“) ist das ein Warnsignal: Öffentlichkeitswirksame Aussagen können zur vertraglich vorausgesetzten Verwendung führen, mit weitreichenden haftungsrechtlichen Folgen.
Fazit: Stärkung der Verbraucherrechte bei Baumaterialien
Mit dem Urteil stärkt das OLG Brandenburg die Rechte von Verbrauchern beim Kauf von Baumaterialien, besonders dann, wenn funktionale Mängel vorliegen. Für Händler und Hersteller bedeutet das: Produktbeschreibungen und reale Gebrauchseigenschaften müssen zwingend zusammenpassen. Der Begriff „PKW-befahrbar“ allein schützt nicht vor Mängelgewährleistung, wenn sich das Material in der Praxis als untauglich erweist.
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